1864 Gründung der späteren Braunschweiger Turn- und Sportgerätefabrik

Die Braunschweiger Turn- und Sportgerätefabrik war als eine der ersten deutschen Firmen nur auf Turn- und Sportgeräte spezialisiert. Sie ging aus der Fa. Von Dolffs und Helle hervor und bestand bis 1999. Das alte Fabrikgebäude von 1914 an der Hildesheimer Straße 27 liegt am Ringgleisweg und ist unter dem Namen „Hilde 27“ jetzt einer anderen Nutzung zugeführt worden. Weiter lesen...

Die Firma Von Dolffs & Helle war 1864 als technische Großhandlung für die damals aufblühenden Industriefirmen gegründet worden. In den 1870er Jahren wuchs durch die von „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn (1778 - 1852) auf den Weg gebrachte Sportbewegung „frisch, fromm, fröhlich und frei“ die Nachfrage nach Sportgeräten aller Art.

Der erste Bedarf wurde durch Importe aus England gedeckt. Von Dolffs und Helle und andere deutsche Firmen sahen recht bald in der Herstellung solcher Geräte in lukratives Geschäftsfeld. In den 1890er Jahren trat Philip Gothmann (1882 - 1961) als Lehrling in die Firma ein und arbeitete sich nach seiner Lehrzeit zum Prokuristen und Teilhaber hoch. Er war schon 1910 in den gerade gegründeten „Deutschen Reichsverband der Turn- und Sportgerätehersteller“ eingetreten.

Unter Gothmanns Ägide spaltete man den Sportsparte organisatorisch von der übrigen Firma ab und startete mutmaßlich im Sternhaus am Kohlmarkt eine Produktion, war doch auf vielen Geräten ein Stern als Schutzmarke aufgebracht. Im ersten Katalog für Schulsportmittel aus dem Jahre 1895 findet sich ein bemerkenswerter Textbeitrag von Konrad Koch (1846 - 1911), dem Sportpionier, der in Braunschweig das erste Fußballspiel auf deutschem Boden organisiert hatte ( ↑ BZS 1874 ).

Bald wurden die Räume am Kohlmarkt zu klein und man entschloss sich zu einem Neubau vor den Toren der Stadt an der Hildesheimer Straße. Dieser konnte 1914 bezogen werden. Wegen des Weltkrieges wurden dort aber bis 1918 keine Sportgeräte, sondern Patronentaschen, Tornister und andere militärische Ausrüstungsgegenstände produziert. In den nächsten Jahren stattete die Firma  deutschlandweit Turnhallen mit sämtlichen Gerät aus und war geschäftlich überaus erfolgreich.

1939 wurde unter politischem Druck die noch bestehende Verbindung zur Firma Von Dolffs und Helle aufgelöst. Philip Gothmann wurde Alleininhaber und firmierte unter dem Namen „Braunschweiger Turn- und Sportgerätefabrik Philip Gothmann, vormals Von Dolffs & Helle“. Es zeugt von großem Anstand, dass er entgegen der damaligen politischen Ideologie die Namen seiner vormaligen Chefs und Partner in seiner neuen Firma weiter führte.

Während des 2. Weltkrieges kam die Geschäftstätigkeit fast völlig zum Erliegen. Viele Mitarbeiter waren eingezogen und die Gebäude teilweise zerstört worden. Dank der Auslagerung von Material in die umliegenden Dörfern konnte nach der Währungsreform neu durchgestartet werden. 1960 wurde ein „Versenk-Reck“ auf den Markt gebracht, welches in einem Mantelrohr in der Erde verschwand und keine Unterkellerung erforderte. Mit solchen und anderen Erfindungen arbeitete man sich an die Spitze der deutschen Turngerätehersteller.

In den 1980er Jahren begann ein schleichender Abstieg, weil die öffentliche Hand bei Ausschreibungen zur Vergabe an den jeweils billigsten Anbieter gezwungen war und die Aufträge kaum noch kostendeckend erledigt werden konnten. Im Jahre 1999 musste der Enkel Gothmanns Jürgen Daube, der die Firma 1972 übernommen hatte, Insolvenz anmelden. In bundesweit mehr als 5000 Turnhallen zeugen aber noch heute viele langlebige Geräte mit dem grünen oder weißen Wellenlogo „Braunschweiger Turngeräte“ von dieser Epoche.

*Querverweis zur Braunschweiger Zeitschiene:
1874 Erstes Fußballspiel im Deutschen Reich von einer Braunschweiger Schülermannschaft

Textquellen:
Hoffmeister, Kurt: Zeitreise durch die Braunschweiger Sportgeschichte:180 Jahre Turnen und Sport in Braunschweig, BoD - Books on Demand 2010,
ISBN: 978-3-839107-12-6
Daube, Jürgen: Persönliche Mitteilungen, 2014 und 2020

Bildquellen:
Gutzeit, Arndt: Alte Werkhalle und Erinnerungsschild, Hildesheimer Straße 27, 2020